Holger
Appell: Die Jugend braucht Zukunftsperspektiven!

In der öffentlichen Debatte, der politischen wie auch der medialen, rund um die Corona- Pandemie steigt die Sensibilität für die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. So hat beispielsweise jüngst die WBK-N ein Postulat (21.3457) verabschiedet, mit dem sie einen Bericht sowie konkrete Massnahmen zur Wahrung der psychischen Gesundheit und zur Versorgungssicherstellung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen fordert. Dies ist begrüssenswert. Leider genügen Feststellungen über Missstände nicht. Was es nun braucht sind Zukunftsperspektiven für junge Menschen und handfeste Lösungen für ihre drängendsten Probleme. Die aktuellen Lockerungsschritte des Bundesrates vom 19. April 2021 bringen erste Entfaltungs- und Lebensräume zurück. Sie gehen jedoch in einigen zentralen Bereichen an den Anliegen und den Forderungen der Jugendlichen vorbei.
Die Bedürfnisse und Rechte der Kinder und Jugendlichen während der Pandemie umzusetzen, gelingt nur mit politischem Rückhalt und konkreter Unterstützung durch die öffentliche Hand wie auch dem tatkräftigen Engagement der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Es gilt nun zu handeln, um soziale Spannungen, individuelles Leiden und weitere Folgeschäden in der «neuen Normalität» nach der Pandemie abzufangen. Denn es geht um Kinder und Jugendliche und damit um die Zukunft unserer Gesellschaft. Eine breite Allianz von Organisationen, die sich für die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz, den Schutz, die Förderung und die Mitsprache von Kindern und Jugendlichen einsetzen, macht dazu Lösungsvorschläge. Die Stiftung Pro Juventute Schweiz, der Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz (DOJ), die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), UNICEF Schweiz und Liechtenstein und IG Sport Schweiz empfehlen dem Bundesrat, dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie den zuständigen kantonalen Behörden Folgendes:
Klare Perspektiven für die Zukunft Gerade Jugendliche verhalten sich angesichts der ihr Leben massgeblich beschneidenden Massnahmen vorbildlich. Aber um weiterhin motiviert zu bleiben, brauchen sie nun klare Perspektiven für die Zukunft. → Der Bundesrat soll aufzeigen, wie der Bewältigungsplan der Pandemie in diesem Jahr konkret aussieht. Weiter sind klare und verständliche Botschaften zu Massnahmen allgemein und zu bevorstehenden Lockerungsschritten und dem Umgang damit speziell für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre nötig.
Post-Corona-Strategie für alle Generationen Es ist wichtig, bereits heute vorausschauend eine Post-Corona-Strategie zu entwickeln, um die mittel- und längerfristigen Auswirkungen der Pandemie aufzufangen. Für die Entwicklung der Strategie sollen alle Generationen berücksichtigt und für die Erarbeitung miteinbezogen werden. → Es braucht die Erarbeitung einer Post-Corona-Strategie, welche alle Lebensbereiche (Freizeit, Schule/Arbeit, Familie) sowie alle Generationen einbezieht und auch die indirekten Folgen der Pandemie (Armut, psychische Gesundheit, Lernlücken usw.) berücksichtig. Dabei gilt es auch entsprechende finanzielle Mittel einzuplanen.
Einbezug der Bedürfnisse in Entscheide Die Bedürfnisse von jungen Menschen müssen – stärker als bisher– wie diejenigen der Wirtschaft, der Kultur, des Gesundheitswesens usw. in die Entscheide zu den Massnahmen und ihrer Handhabung durch die Behörden einfliessen, mittels Anhörung auf der Basis ihres Mitspracherechts. Ansonsten werden diese durch die Betroffenen nicht mitgetragen und ihre Wirkung wird verfehlt. → Jugendliche und Vertreter*innen von Organisationen und Verbänden aus dem Bereich Kinder und Jugend sollen regelmässig und systematisch vom Bundesrat und der Task Force des Bundes angehört und in die Vernehmlassung zu Entscheidungen einbezogen werden. → Die Wissenschaftliche Task Force soll ergänzt werden mit wissenschaftlichen Vertreter*innen aus den Bereichen Soziologie/Sozialwissenschaften/Pädagogik mit Schwerpunkt Kind, Jugend und Familie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Solidarität in beide Richtungen Kinder und Jugendliche haben sich in der Corona-Pandemie weitgehend sehr genau an die Massnahmen gehalten und sich gegenüber den Risikogruppen solidarisch gezeigt, ja diesen vielfach geholfen etwa mit Hilfsdiensten. Risikopersonen, die dies möchten, sind bald geimpft und geschützt. Kinder und Jugendliche aber werden aus medizinischen Gründen voraussichtlich als Letzte geimpft. Ausserdem betreffen sie die sich zurzeit anhäufenden Staatschulden stärker als andere Generationen. → Nun sind die jungen Menschen dran. Ihr Wohlbefinden und ihre für eine gesunde Entwicklung zentralen Bedürfnisse sollen nun ebenfalls solidarisch Beachtung finden. → Im Zusammenhang mit dem Covid-19-Zertifikat und allfälligen Privilegien für Geimpfte dürfen junge Menschen nicht benachteiligt werden.
Zugängliche Hilfe bei Krisen und psychischen Problemen Es ist nun allgemein bewusst geworden, dass viele Jugendliche psychisch leiden unter Monotonie, fehlendem Kontakt mit Gleichaltrigen, Spannungen oder gar Gewalt zuhause, Zukunftsängsten usw. Die Bandbreite reicht von Angst- und Essstörungen bis zu schweren Depressionen und Suizidgedanken. Solche Leiden können sich chronifizieren, lange Behandlungen nach sich ziehen und damit individuelles Leid und Kosten verursachen, auch weit nach Bewältigung der Pandemie. → Die öffentliche Hand soll psychosoziale sowie kinder- und jugendpsychiatrische Angebote rasch ausbauen und auch mittelfristig sicherstellen. Anlauf-, Beratungs- und Fachstellen müssen stärker finanziell unterstützt werden. → Die Angebote und Bezugspersonen der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit sind gemäss Expert*innen wichtige stabilisierende und schützende Faktoren. Diese Strukturen müssen mindestens erhalten bleiben oder besser ausgebaut werden. → Die Folgen der Pandemie in Bezug auf die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind in die bestehenden Gesundheitsstrategien des BAG einzubeziehen.
Fallhilfen beim Berufsübertritt Jugendliche, die es bereits schwierig hatten, gerieten im Zuge der Pandemie in ernste Schwierigkeiten bei der Berufswahl und dem Übertritt ins Berufsleben. Nicht wenige stehen ohne Lösung und Perspektive da. Dies ist der Nährboden für viele Probleme, individuelle und gesellschaftliche. → Die Strukturen, die Jugendliche beim Übertritt von der Schule in die Berufsbildung oder weiterführende Schulen sowie diejenigen ohne berufliche Anschlusslösung unterstützen, sollen rasch gestärkt und ihre Kapazitäten ausgebaut werden. → Zentral sind dabei niederschwellige Angebote, z. B. ‘aufsuchende Beratungen’ an den Schulen oder die Offene Kinder- und Jugendarbeit. → Weiter sollen politisch Anreize geschaffen werden für Unternehmen, die Lehrstellen/Praktika schaffen und Berufslehrabgänger*innen oder Studierende einstellen.
Mehr Aktivitäten bis 25 Jahren Kinder und Jugendliche bis Jahrgang 2001 geniessen bereits zahlreiche Ausnahmen und Erleichterungen bei den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Das ist richtig und wichtig. Doch diese Altersgrenze ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht angebracht und bei Aktivitäten im Bereich Sport, Kultur sowie Offener und verbandlicher Jugendarbeit nicht sinnvoll umsetzbar. → Auch Jugendliche bis 25 Jahren sollen in der Freizeit mehr Möglichkeiten und Erleichterungen erhalten, analog denjenigen für Jugendliche bis Jahrgang 2001. → Veranstaltungen mit Publikum sollen für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahren auch im Laienbereich wieder möglich sein.
Tragende Strukturen stärken Die Pandemie hat gezeigt, dass von Fachpersonen und Freiwilligen begleitete, niederschwellige Angebote der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit und Aktivitäten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wichtige Angebote sind. In diesen Freiräumen können sie sich ohne Stress und Druck mit Gleichaltrigen treffen und wichtige gesundheitsfördernde Erholung finden. Fachpersonen und Freiwillige stehen auch mit einem offenen Ohr für Sorgen und Probleme zur Verfügung und können an spezialisierte Beratungsstellen weiterverweisen. Diese Strukturen sind auch von allfälligen Sparmassnahmen zu schützen. → Nebst befristeten themenspezifischen Förderprogrammen gilt es für einen nachhaltigen Nutzen auch diese bestehenden Strukturen in den Gemeinden und Verbänden aufrecht zu erhalten, zu fördern und auszubauen
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